Homöopathie und die Welt

Dieser Blog beleuchtet Schnittstellen der Homöopathie und des ganzheitlichen Heilens mit der außermedizinischen Welt, mit Spiritualität, Wissenschaft und Politik. Die homöopathische Art, über Probleme, Krisen und Lösungen nachzudenken und nachzufragen, wird über Themen der individuellen Gesundheit hinaus erweitert. Die ganzheitliche Sicht auf Zusammenhänge und die besondere Art, genau hinzuhören, die wir uns in zweihundert Jahren Umgang mit Krisen und Leiden erarbeitet haben, läßt sich auch in kollektiven Zusammenhängen sehr fruchtbar anwenden. Dies möchte ich in einer losen Folge von Artikeln anhand aktueller Themen zeigen.
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Jörg Wichmann, November 2017


BLOG

Gastbeitrag: Bernardo Kastrup über Materie und Bewußtsein. Teil 1 - Die Physik weist unausweichlich auf den Geist.

Bernardo Kastrup ist ein niederländischer Informatiker und Philosoph, der bahnbrechende Gedanken zum Geist - Materie - Problem veröffentlicht hat, die im Scientific American und anderen renommierten Zeitschriften erschienen sind.

Er schlägt als optimale und wissenschaftlich sinnvollste Lösung der grundlegenden philosophischen Fragen um die Materie-Bewusstseins-Problematik eine idealistische Ontologie vor, die in der Deutung der Wirklichkeit sparsamer und empirisch strenger vorgeht als der Mainstream-Physikalismus, der Panpsychismus und der Kosmopsychismus. Die von ihm und einigen seiner Kollegen vorgeschlagene Ontologie hat mehr Aussagekraft als diese drei Alternativen, da sie nicht dem „schwierigen Problem des Bewusstseins“, dem Kombinationsproblem bzw. dem Dekombinationsproblem zum Opfer fällt.
Seine These kann wie folgt zusammengefasst werden: Es gibt nur kosmisches Bewusstsein. Wir, wie auch alle anderen lebenden Organismen, sind nur dissoziierte Teilpersönlichkeiten (alters) des kosmischen Bewusstseins, umgeben von seinen Gedanken. Die unbelebte Welt, die wir um uns herum sehen, ist die äußerliche Erscheinung dieser geistigen Zustände. Die lebenden Organismen, mit denen wir die Welt teilen, sind die äußerlichen Erscheinungen anderer dissoziierter Teilpersonen (alters).
Das Besondere an Kastrup ist, dass er sehr genau und logisch, Punkt für Punkt argumentiert und nicht nur an ein allgemeines Vorverständnis oder metaphysische Überzeugungen appelliert. Er legt großen Wert darauf, dass seine Theorie die empirischen Befunde sowohl aus der Quantenphysik wie auch aus der neurophysiologischen Forschung gut und einfach erklärt.
Diesen Standpunkt stellt er logisch so schlüssig und klar dar, dass wir davon ausgehen können, dass der aktuell in weltanschaulichen Diskussionen noch immer als „wissenschaftlich“ geltende Materialismus (oder auch Physikalismus) in all seinem Spielarten grundsätzlich widerlegt, bzw. seine Untauglichkeit als wissenschaftlich sinnvolles Erklärungsprinzip für ein umfassendes Weltverständnis erwiesen ist.
Mit freundlicher Genehmigung von Bernardo Kastrup werde ich in nächster Zeit einige seiner Aufsätze, die im Scientific American erschienen sind, hier in deutscher Übersetzung veröffentlichen. Zu einem wirklichen Verständnis seiner Position ist es wichtig zu verfolgen, wie seine Theorie mit einzelnen philosophischen oder naturwissenschaftlichen Fragen umgeht.


1. Artikel: Physics Is Pointing Inexorably to Mind, aus: Scientific American

Die Physik weist unausweichlich auf den Geist.

Der so genannte "Informationsrealismus" hat einige überraschende Implikationen

© Bernardo Kastrup am 25. März 2019 (deutsche Übersetzung Jörg Wichmann)

In seinem Buch Our Mathematical Universe(1) aus dem Jahr 2014 stellt der Physiker Max Tegmark die kühne Behauptung auf, dass "Protonen, Atome, Moleküle, Zellen und Sterne" allesamt überflüssiger "Ballast" seien. Nur der mathematische Apparat, mit dem das Verhalten der Materie beschrieben wird, sei real, nicht die Materie selbst. Für Tegmark ist das Universum eine "Reihe von abstrakten Entitäten mit Beziehungen zwischen ihnen", die "unabhängig vom Ballast" beschrieben werden können – d.h. ohne Materie. Er führt die Existenz ausschließlich auf Beschreibungen zurück, leugnet aber inkonsequenterweise genau das, was überhaupt beschrieben wird. Die Materie wird abgeschafft und nur die Information selbst wird als letztendlich real angesehen.

Dieses abstrakte Konzept, genannt Informationsrealismus, ist zwar vom Charakter her philosophisch, wurde aber von Anfang an mit der Physik in Verbindung gebracht. Am bekanntesten ist, dass der Informationsrealismus eine beliebte philosophische Grundlage für die digitale Physik bildet. Die Motivation für diese Verbindung ist nicht schwer zu ergründen.

Die griechischen Atomisten gingen davon aus, wenn wir die Dinge in immer kleinere Teile unterteilen würden, dass am Ende feste, unteilbare Teilchen blieben, die Atome genannt werden, die sie sich so konkret vorstellten, dass sie sogar bestimmte Formen haben. Doch mit fortschreitendem physikalischen Verständnis haben wir erkannt, dass Atome selbst weiter in kleinere Teilchen und solche in noch kleinere und so weiter unterteilt werden können, bis das, was übrig bleibt, überhaupt keine Form und Festigkeit mehr hat. Am Ende der Kette der physikalischen Reduktion stehen nur schwer fassbare, imaginäre Seinsformen, die wir als "Energie" und "Felder" bezeichnen – abstrakte konzeptionelle Werkzeuge zur Beschreibung der Natur, denen es an realer, konkreter Essenz zu fehlen scheint.

Für einige Physiker bedeutet dies, dass, was wir "Materie" nennen – mit all ihrer Festigkeit und Konkretheit – eine Illusion ist; dass nur der mathematische Apparat, den sie in ihren Theorien entwickeln, wirklich real ist, nicht die wahrgenommene Welt, für die der Apparat überhaupt geschaffen wurde. Aus ihrer Sicht ist eine solche kontraintuitive Schlussfolgerung eine Implikation der Theorie, kein verdächtig narzisstischer und sich selbst widerlegender Vorschlag.

Tatsächlich entsteht nach Ansicht von Informationsrealisten die Materie aus der Informationsverarbeitung, nicht umgekehrt. Selbst die mentale Psyche, die Seele, ist angeblich ein abgeleitetes Phänomen(2) der rein abstrakten Informationsmanipulation. Aber was genau ist in einem solchen Fall mit dem Wort "Information" gemeint, da es kein physisches oder geistiges Substrat gibt, um sie zu erden?

Sie sehen, es ist eine Sache, sprachlich zu behaupten, dass Informationen primär seien und daher unabhängig von Geist und Materie existieren können. Aber es ist eine ganz andere Sache, sich explizit und schlüssig vorzustellen, was – wenn überhaupt etwas – das bedeuten kann. Analog dazu ist es möglich, – wie Lewis Carroll es getan hat – zu schreiben, dass das Grinsen der Cheshire Cat auch nach dem Verschwinden der Katze erhalten bleibt, aber es ist etwas anderes, sich explizit und schlüssig vorzustellen, was das bedeutet.

Unser intuitives Verständnis des Konzepts von Information – wie es Claude Shannon 1948 überzeugend festhielt – besteht darin, dass Information lediglich ein Maß für die Anzahl der möglichen Zustände eines unabhängig existierenden Systems ist. Information als solche ist eine Eigenschaft eines darunter liegenden Substrats; sie ist also mit den möglichen Konfigurationen des Substrats verbunden – nicht eine Entität für sich selbst.

Zu sagen, dass Informationen an und für sich existieren, ist gleichbedeutend damit von einer Drehung ohne Kreiselzu sprechen, von Wellen ohne Wasser, von einem Tanz ohne die Tänzerin oder vom Grinsen der Cheshire Cat ohne die Katze. Es ist eine grammatikalisch gültige, aber sinnlose Aussage; ein Wortspiel, das weniger Bedeutung hat als eine Phantasie, denn eine in sich konsistente Phantasie kann zumindest explizit und schlüssig als solche begriffen werden.

Man kann davon ausgehen, dass ernsthafte Befürworter des Informationsrealismus sich dieser Kritik bewusst sind. Wie bringen sie dann ihre Position mit ihr in Einklang? Eine Passage von Luciano Floridi(3) könnte einen Hinweis darauf liefern. In einem Abschnitt mit dem Titel "Das Wesen der Informationen", sagt er: "Informationen sind bekanntlich ein polymorphes Phänomen und ein polysemantisches Konzept, so dass sie als Explicandum mit mehreren Erklärungen assoziiert werden können, abhängig von der gewählten Abstraktionsebene und dem Cluster von Anforderungen und Bedürfnissen, die eine Theorie anordnen..... Informationen bleiben ein schwer fassbares Konzept." (Hervorhebung hinzugefügt.)

Eine solche obskure Mehrdeutigkeit verleiht dem Informationsrealismus eine konzeptionelle Flüchtigkeit, die ihn unwiderlegbar macht. Denn wenn die Wahl der Ursprungsannahme durch ein "schwer fassbares Konzept" gegeben ist, wie kann man dann eindeutig feststellen, ob es falsch ist? Indem er die Möglichkeit zugibt, dass Informationen "ein Netzwerk von logisch voneinander abhängigen, aber gegenseitig irreduziblen Konzepten" sein können, scheint Floridi sogar zu suggerieren, dass eine solche Flüchtigkeit der Sache inhärent und unauflösbar ist.

Während Vagheit gegenüber natürlichen Entitäten, die möglicherweise über menschliches Begreifen hinausgehen, vertretbar sein kann, ist es schwierig, sie zu rechtfertigen, wenn es um ein menschliches Konzept wie Informationen geht. Wir haben das Konzept erfunden, also spezifizieren wir entweder klar, was wir damit meinen, oder unsere Konzeptualisierung bleibt zu vage, um eine Bedeutung zu haben. Im letzteren Fall ist es buchstäblich sinnlos, der Information die primäre Existenz zuzuordnen.

Die Unhaltbarkeit des Informationsrealismus löst jedoch nicht das Problem auf, das sein Entstehen motiviert hat: die Erkenntnis, dass das, was wir "Materie" nennen, im Grunde genommen reine Abstraktion, ein Phantasma wird. Wie kann die fühlbare Konkretheit und Festigkeit der wahrgenommenen Welt aus der Existenz verschwinden, wenn wir die Materie genau betrachten?

Um dieses Rätsel zu verstehen, brauchen wir die Wortspiele des Informationsrealismus nicht. Statt dessen halten wir uns and das, was uns unmittelbar gegeben ist: die Festigkeit und Konkretheit unserer Erfahrung. Die Welt, die von der Physik gemessen, in Modellen dargestellt und schließlich vorhergesagt wird, ist die Welt der Wahrnehmungen, eine Kategorie von Bewusstheit (mentation). Die Phantasmen und Abstraktionen liegen lediglich in unseren Beschreibungen des Verhaltens dieser Welt, nicht in der Welt selbst.

Verunsichernd und verwirrend ist die Vorstellung, dass das, was wir beschreiben, eine nicht-geistige (non-mental) Realität sei, die unseren Wahrnehmungen zugrunde liege, im Gegensatz zu den Wahrnehmungen selbst. Wir versuchen dann, die Festigkeit und Konkretheit der wahrgenommenen Welt in dieser postulierten, zugrunde liegenden Realität zu finden. Eine nicht-geistige Welt ist jedoch zwangsläufig abstrakt. Und da Festigkeit und Konkretheit spürbare Eigenschaften der Erfahrung sind – was sollten sie sonst sein? –, können wir sie dort nicht finden. Das Problem, vor dem wir stehen, ist also nur ein Artefakt des Denkens, das wir aufgrund unserer theoretischen Gewohnheiten und Vorurteile aus dem Nichts beschwören.

Tegmark hat Recht, wenn es darum geht, Materie, die als etwas da draußen und unabhängig vom Geist definiert ist, als unnötigen Ballast zu betrachten. Aber die Implikation dieser schönen und in der Tat mutigen Schlussfolgerung ist, dass das Universum ein mentales Konstrukt sei, das auf dem Bildschirm der Wahrnehmung dargestellt werde. Tegmarks "mathematisches Universum" ist von Natur aus ein mentales, denn wo gibt es Mathematik – Zahlen, Mengen, Gleichungen – wenn nicht in der Vorstellung?

Wie ich in meinem neuen Buch The Idea of the World(4) ausführlich darlege, impliziert nichts davon einen Solipsismus. Das mentale Universum existiert im Geist, aber nicht nur in deinem persönlichen. Vielmehr handelt es sich um ein transpersonales geistiges Feld, das sich uns nur als Körperlichkeit darstellt – mit ihrer Konkretheit, Festigkeit und Begrenztheit –, sobald unsere persönlichen geistigen Prozesse in der Beobachtung mit ihm interagieren. Zu diesem geistigen Universum führt uns die Physik, nicht die vagen Wortspiele des Informationsrealismus.

(1) Max Tegmark: Unser mathematisches Universum. Auf der Suche nach dem Wesen der Wirklichkeit. Ullstein, Berlin 2015, ISBN 978-3-550-08092-0.
(2) http://www.digitalphilosophy.org/wp-content/upload...
(3) http://blogs.oii.ox.ac.uk/floridi/wp-content/uploa...
(4) https://smile.amazon.com/dp/1785357395


Weiteres Material von Bernardo Kastrup, in welchem er seine bahnbrechenden metaphysischen und wissenschaftlichen Überlegungen erklärt:

Bernardo Kastrups eigene Website: https://www.bernardokastrup.com/
Gespräch mit Joshua David Bloom https://www.youtube.com/watch?v=L6ZfgM2attA
Vortrag an der Uni Zürich Januar 2018, https://www.youtube.com/watch?v=AF2uTbmHCMA
Interview mit Deepak Chopra, https://www.youtube.com/watch?v=t_txcadOeAM

Sein neues Buch: Introducing the Idea of the World, https://www.bernardokastrup.com/2018/07/introducing-idea-of-world.html


über Bernardo Kastrup
Bernardo Kastrup hat an der Technischen Universität Eindhoven in Computertechnik promoviert und sich auf künstliche Intelligenz und rekonfigurierbare Rechensysteme spezialisiert. Er arbeitete als Wissenschaftler in einigen der führenden Forschungslabors, darunter der Europäischen Organisation für Kernforschung (CERN) und den Philips Research Laboratories. Bernardo Kastrup hat viele wissenschaftliche Arbeiten und Bücher über Philosophie und Naturwissenschaften verfasst. Sein jüngstes Buch ist "The Idea of the World - Ein multidisziplinäres Argument für die mentale Natur der Realität", das auf streng analytischen Argumenten und empirischen Nachweisen basiert. Weitere Informationen, frei herunterladbare Papiere, Videos usw. finden Sie unter www.bernardokastrup.com.

Siehe auch den Artikel in FreeWiki.


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